Fokus Vielfalt


In acht Themenfokussen vernetzen sich die Filme des 12. Filmfests zu facettenreichen Perspektiven oder zu antagonistischen Filmpaaren, die zu neuen Gedankengängen anregen.

Prostitution – Zwangsprostitution – Frauenhandel

„Warum gehen Männer ins Bordell?“, fragt irritiert der Schwede Svante Tidholm im größten Bordell Europas in Köln, Ausgangspunkt für seinen Film Like a Pascha. Der erweiterte Blick zur bitteren europäischen Realität von Zwangsprostitution und Frauenhandel in Zeit der Namenlosen belegt, dass 95 Prozent der Prostituierten ihrer Tätigkeit nicht freiwillig nachgehen. 63 Years On lässt die letzten überlebenden „Trostfrauen“ zu Wort kommen, die während des II. Weltkriegs in japanische Militärbordelle verschleppt wurden.

 

Täter-Opfer-Beziehung und –Ausgleich

Hunderttausende „Trostfrauen“ wurden im Auftrag des japanischen Staates systematisch zwangsprostituiert und warten bis heute auf Wiedergutmachung. Erschreckende Parallelen in The Invisible War: über eine halbe Million Frauen in den US-Streitkräften wurden bis heute vergewaltigt. US-Soldatinnen fallen eher ihren Kameraden als einem Feind zum Opfer, kaum eine Tat wird gesühnt. Auf der individuellen Ebene beleuchtet Schuld sind immer die Anderen den Täter-Opfer-Ausgleich im offenen Strafvollzug, in Invisible fahnden zwei israelische Frauen nach dem Serientäter, der sie vor Jahren vergewaltigt hatte.

 

Queere Geschlechteridentitäten

Lesbische Liebe in Sharayet: zwei Schülerinnen in Teheran leben den Spagat zwischen rigider Moral und illegalen Partys im Untergrund. Mann sein lernt man(n) nur? Man for a Day nimmt mit satirischem Augenzwinkern die soziale Konstruktion von Geschlecht auseinander. In I Am a Woman Now erinnern sich fünf jung gebliebene Transfrauen an ihren zweiten Lebensbeginn – nach der geschlechtsangleichenden Operation, die in den 1950ern nur in Casablanca möglich war.

 

 

Häusliche Gewalt

Häusliche Gewalt ist die häufigste Verletzungsursache für Frauen und weltweit verbreitet: In Festung entpuppt sich die Familie der 13-jährigen Johanna als Ort, der von Gewalt vergiftet ist und den doch alle Familienmitglieder vor der Umwelt abschirmen. Weitere Schicksale auf mehreren Kontinenten werden aufgeschlüsselt in Blood Calls You, Nessa und Hearing Radmilla.

 

Gewaltfreie Geburt - Nachwehen

An den Fokus 2011 knüpft Guerrilla Midwife an: Hebamme und Philosophin Ibu Robin Lim unterstützt in ihrer Klinik auf Bali für ärmste Schwangere mit der „sanften Geburt“ die liebevolle Mutter-Kind-Beziehung als Vorraussetzung für eine friedliche Welt. Frozen Angels (s.u.) gibt dazu den extremen Gegenpart. Vierzehn, über 14-jährige Mädchen die sich entscheiden, ihr Kind zu bekommen und der Kampf in Kenia gegen hohe Müttersterblichkeit in Afya Yangu, erhellen besondere Aspekte.

 

Religion und Frauenrechte

Ob im christlichen Mormonentum, Islam oder Judentum: die Rolle der Frau ist oft eingeschränkt. In Electrick Children geht die 15-jährige Mormonin Rachel ihren eigenwilligen Weg, um der vom Vater erzwungen Heirat mit einem Nachbarn zu entgehen. Regisseurin Kadija Leclere setzt sich in Le sac de farine mit der eigenen Biographie zwischen christlichem Belgien und islamisch geprägtem Marokko auseinander. Sharayet, Nessa, Heiran und Saving Face zeigen Diskriminierungen und Gewalt in Iran und Pakistan auf. Das jüdische Paar Jalda und Anna gründet in Berlin eine eigene jüdische Gemeinde um der Beschränkung von Frauen im traditionellen Judentum zu entgehen.

 

In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Das muss gefragt werden, wenn in Kalifornien Fanatiker der Reproduktionstechnologie in Frozen Angels genetisch „verbesserte“ Idealmenschen züchten wollen: athletisch, blond, blauäugig und hyperintelligent – ein Wirklichkeit gewordener Alptraum von Aldous Huxleys „Schöner Neuen Welt“. Antagonistische Filmpaare dazu: die emanzipierte Liebesbeziehung zwischen einer spastisch gelähmten Frau und einem jüngeren Mann in du und ich, eine bezaubernde ältere Kibbuznik, die sich weigert, zum alten Eisen geworfen zu werden in A Beautiful Valley oder Herz des Himmels, Herz der Erde, in dem junge Maya-SchamanInnen in Guatemala und Mexiko den Spagat meistern zwischen gemeinschaftlichem Widerstand gegen Umweltzerstörung, Ausbeutung, Diskriminierung und Hinwendung zu Natur und Spiritualität in ihrer Kosmovision.

 

Kriegerische Konflikte und Frieden

Filme, die wir diesen roten Faden entlang verknüpfen: 63 Years on, The Invisible War, Die Brücke am Ibar, Herz des Himmels, Herz der Erde, Guerrilla Midwife, Von König Amanullah zu Facebook, Der deutsche Freund, Words of Witness und Heiran – sie schockieren, lassen nachdenklich werden und andererseits Hoffnung schöpfen aus den eigensinnigen Persönlichkeiten, die unnachgiebig dem Frieden als Utopie nacheilen.